Sie kennen es sicherlich: In geselligen Runden erwachen die abstrusesten, interessantesten, aber auch lustigsten Ideen. So wie bei uns vor Kurzem. Mein Cousin ist in eine neue Wohnung gezogen und hat die ganze Familie an einem Samstagabend zu einer Einweihungsparty eingeladen. In dieser illustren Runde haben wir die FaceApp ausprobiert – und daraus ist glatt ein Experiment mit der Dating-App Tinder entstanden. Das Resultat: Es wurde ein Abend voller „Lachflashs“ und spannender Erkenntnisse!
Geschlechtertausch mit der FaceApp
Die FaceApp ist ein Programm zur Bildbearbeitung aus dem Google Play-Store bzw. dem ITunes-Store. Es gibt sie in der kostenlosen Version mit begrenzten Möglichkeiten, etwas Werbung und einem Wasserzeichen auf dem bearbeiteten Bild. Die „Pro-Version“ kostet 3,99 €, bietet mehr Möglichkeiten und blendet Werbung und Wasserzeichen aus. Wir haben zum Ausprobieren die kostenlose Version genutzt.
Mit der FaceApp lassen sich Selfies und andere Portraitbilder optimieren. Mit verschiedenen Filtern können dem Gesicht unterschiedliche Effekte verliehen werden. Die App ermöglicht es beispielsweise, verschiedene Haarfarben, Frisuren und bei Männern Bart-Stile auszuprobieren. Es ist auch möglich, sich damit jünger oder älter zu machen.
Besonders interessant ist die Funktion „Geschlechtertausch“: Wer schon immer mal wissen wollte, wie er/sie als Frau/Mann aussehen würde, kann dies mit der FaceApp simulieren. Und das war natürlich unser erstes Highlight des Abends: Munter wurde von jedem Teilnehmer der Runde ein Foto geschossen und geprüft, wie er als Mann oder Frau wirken würde. Das klappte mal besser, mal schlechter – und einmal ganz besonders gut! Die entstandene „junge Frau“ trug langes, blondes Haar mit einem Stufenschnitt, hatte strahlend blaue Augen, einen schönen Teint und ein sympathisches Lächeln. Sie sah echt aus – als hätte man eine existierende, attraktive Dame vor sich und keine, die durch künstliche Intelligenz hergestellt wurde. Der Mann, der als ihr „Vorbild“ galt, verliebte sich übrigens sofort „in sich selbst“ …
Da das Bild gar so überzeugend war, haben wir uns überlegt, ob der ein oder andere Mann darauf anspringen würde. Und so kam es zu der Idee des Abends:
ein Tinder-Profil für die „Fake-Frau“ zu erstellen und daran zu testen, wie die Männer auf sie reagieren.
So funktioniert die Dating-App Tinder
Bevor ich zum eigentlichen Experiment komme, erkläre ich die Funktion dieser Dating-App: Tinder gibt es in einer kostenfreien Version, aber auch in der Plus- oder Gold-Version mit Abopreis. Die App findet per GPS Personen aus der Nähe bzw. aus einem vorher bestimmten Umkreis von z. B. 50 km und zeigt sie an. Anhand eines oder mehrerer Bilder und einem Profiltext, der freiwillig erstellt werden kann, entsteht ein erster Eindruck der angezeigten Person. Der Date-Suchende hat nun die Wahl, ob Interesse an der Person besteht oder nicht. Sagt er „Ja“, so wischt er nach rechts. Sind Bilder und/oder Profil für ihn nicht ansprechend, gibt es mit einem Wisch nach links ein „Nein“. Wenn die in den Ring der interessanten Partner gerufenen Personen ebenfalls nach rechts wischen, kommt es zu einem sogenannten „Match“. In diesem Fall lässt sich ein Chat starten und die beiden Personen können sich virtuell einander kennenlernen.
Eigentlich eine gute Sache, gerade in der heutigen Zeit, in der es nicht mehr so einfach ist, jemanden kennenzulernen. Würde da bei Tinder nicht das Vorurteil mitschwingen, es handle sich umgangssprachlich um eine „Bums-App“, bei der es bevorzugt um One-Night-Stands und Affären, also nichts Ernstes, gehen würde. Dies galt es für uns zu überprüfen.
Wir erstellten den Lockvogel „Lena“
Schnell wurde das Wasserzeichen auf dem Bild der Fake-Frau abgeschnitten und Tinder heruntergeladen. Zur Erstellung des Profils bestimmte der Familienrat Name, Alter, Wohnort, Setting: Die Studentin Lena aus Mainleus ist 25. Sie sucht Männer im Umkreis von 50 km im Alter von 25 bis 54 Jahren. Sonst gibt sie in ihrem Profil nichts über sich an. Die potentiellen Dating-Partner sehen also nur ein Foto, den Namen, das Alter und den Wohnort bzw. die Anzahl der entfernten Kilometer.
Kleine Studie mit Tinder: Wie ticken die Männer dort wirklich?
Nun ging es los.
Um erst einmal ein paar Personen ins Spiel zu bringen, wischten wir wahllos nach rechts, ohne uns die Profile der angezeigten Männer anzusehen. Bereits nach einer knappen Minute hatten wir das erste Match, kurz darauf folgten die nächsten. Wir wischten weiter, mal nach rechts, mal nach links, wie wir gerade Lust hatten. Die ersten Nachrichten trudelten ein.
Ein User fiel mit der Türe ins Haus. Er erklärte, wie sympathisch er Lena fände und dass er sie gerne treffen würde – wenn es ihr denn nichts ausmachen würde, d
ass er sich derzeit in einer offenen Beziehung befände. Andere versuchten, den Dialog mit „Hi!“, „Wie geht’s?“, „Schönes Match!“ oder „Was machst du?“ zu starten. Langweilig.
Ein paar potentielle Flirt-Partner griffen in die Kiste der Komplimente, mal abgedroschen, mal kreativer, einer fast sogar schon poetisch: „Strahlendblaue Augen und ein verzauberndes Lächeln. Besser kann ein Tag nicht enden. Ich werde heute Nacht nach den Sternschnuppen Ausschau halten, vielleicht geht mein Wunsch, dich kennenzulernen, in Erfüllung.“
Wir entschieden uns dazu, nur einen Dialog wahrzunehmen und mitzuspielen. Franz, so nennen wir ihn jetzt einfach mal, schrieb sehr von sich überzeugt: „Ich entnehme deinem Profiltext, dass du nur darauf gewartet hast, MICH kennenzulernen und dich morgen von mir zu einem köstlichen Aperitif einladen lassen möchtest.“ Erinnern Sie sich? Wir haben in Lenas Profil nichts weiter über sie angegeben. Aber gut. Franz schrieb so provozierend, dass wir darauf eingehen wollten. Ab jetzt übernahm mein Cousin, dessen Wohnung wir gerade einweihten, das Ruder und wurde zum Schriftführer befördert.
Ein lustiges Szenario: Der flirtende Franz schrieb nicht – wie er dachte – mit einer Frau, sondern mit Lena, die eigentlich ein Mann und der Geschlechtertauschfunktion der FaceApp entsprungen war. Zudem tippte die Texte ein junger Mann Anfang 20, hinter dem Personen einer ganzen Familie in jeder Altersklasse standen. Jeder warf seinen Input ein und gemeinschaftlich wurde entschieden, wie der Dialog weitergeführt wird.
Flirten auf Tinder: Jetzt ging es aufs Ganze
Franz textete mit Lena erst recht unverfänglich über das, was sie gerade so mache. Unser Lockvogel gab an, gerade von ihrer besten Freundin zurückgekommen zu sein. Sie sei ein bisschen angeschickert, denn sie habe dort Rotwein getrunken. Es folgten ein paar Sätze zum Thema Wein – und schließlich wollte Franz wissen, was die beiden denn nun mit dem angefangenen Abend anstellen wollen. Dabei stellte er klar: „Mir schwebt es vor, ein wenig mit DIR zu flirten.“
Und schon driftete das Ganze in eine ganz andere Richtung ab. Franz wollte wissen, welche Kleidung Lena gerade im Moment trägt und leitete das Thema langsam, aber sicher, immer mehr in Richtung … naja, Sie können es sich denken. Zu diesem Zeitpunkt möchte ich dies hier nicht mehr ausformulieren. Nur so viel: Der Mann – übrigens 54 Jahre alt – fing an, seine erotischen und sexuellen Fantasien deutlich und wortwörtlich mit der jungen Lena auszuleben. Der sogenannte Cybersex startete. Wir spielten mit und lachten uns dabei kaputt.
Resümee des Tinder-Experiments
Wir können nicht beurteilen, wie die anderen Dialoge abgelaufen wären, denn wir haben nur den mit Franz aktiv geführt. Die anderen Nachrichtenanfragen haben wir nur gelesen und nicht beantwortet.
Ist es also nun wirklich so, dass Tinder eine reine „Bums-App“ ist? Nun, wir bekamen die Nachricht des Mannes mit der offenen Beziehung, der uns gleich treffen (und wahrscheinlich nicht nur das) wollte. Und bei unserem Dialog mit Franz ging es tatsächlich schnell zur Sache.
Ob man bei diesen Stichproben übergeneralisieren und alle über einen Kamm scheren sollte? Wir denken nicht. Und wer weiß, vielleicht saß bei Franz auch eine ähnliche Redaktionsrunde und lachte sich bei ihrem Experiment wie wir ins Fäustchen.
Übrigens: In meinem Freundes- und Bekanntenkreis gibt es Personen, die Tinder ausprobiert und dabei neue Freunde gewonnen oder sogar die große Liebe gefunden haben. Tinder als unseriöse Flirt-App abzutun, ist meiner Meinung nach überzogen. Denn: Es gibt immer Ausnahmen! Und wenn vorab klargestellt wird, was genau man auf Tinder sucht bzw. welche Art von Dating einem vorschwebt, ist alles möglich, was man sich vorstellt.
Das Tinder-Profil, welches wir an dem Samstagabend erstellt hatten, ließen wir bis Dienstagabend pro forma bestehen. Bis zum Löschen des Profils hatten wir 115 Matches und 63 Nachrichtenanfragen. Einige beschwerten sich, dass wir nicht auf ihre Nachricht antworteten. Wir sind uns sicher: So etwas wie uns haben sie sicherlich nicht gesucht. 😉
Quelle Bilder:
Titelbild: Photo by Pratik Gupta on Unsplash
Bild im Text: Pixabay